Kirchen

 

„Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten.“

mit diesen Liedzeilen aus unserem Gesangbuch begrüßen wir Sie ganz herzlich in unseren Kirchen. In einer lauten und hektischen Zeit sollen unsere Kirchen Stätten der Ruhe und Besinnung sein. Sie sollen vor allem dazu einladen, in der versammelten Gemeinde dem zu begegnen, der unser Leben trägt und erhält, dem dreieinigen Gott.

 

I. Führung durch die Stadtkirche

Zur Baugeschichte

Das Stadtbuch von Biedenkopf verzeichnet unter „Stadtgewohnheit“ 1366 die Wahl des Bürgermeisters, „des Mondages nach unser Michaels Kirmesse“. Diese Kirchweih lässt den Schluss zu, dass als Vorläufer des späteren Kirchbaues eine Michaelskirche  bestanden hat.

Baupläne von 1860 betreffend den Grundriss der Kirche zeigen romanische Grundmauern dreier Absiden (Chorabschlüsse) und des Kirchturms; ob sie zu einem im 12. Jahrhundert schon bestehenden Altbau oder zum früheren Neubau der später gotisch fertiggestellten Johanneskirche gehören, bleibt offen.

Um 1250 wohl zu der Zeit der Erhebung Biedenkopfs zur landgräflichen
Stadt (nach 1232) wird die Johanneskirche errichtet, nach dem Vorbild westfälischer Hallenkirchen; sie ist Johannes dem Täufer geweiht, eine dreischiffige gotische Halle mit etwas erhöhtem Mittelschiff, viereckigen Holzsäulen und vorgesetzten starken Steinpfeilern. Infolge eines Fehlers in der Konstruktion der Gewölbe der Seitenschiffe in deren Anschluss an das Mittelschiff zeigt der Bau schon sehr früh Risse. Von den beiden geplanten Türmen ist nur der nördliche ausgebaut.

Um1250 wird die älteste Glocke gegossen; heute „Neun-Uhr-Glocke“.

Vor 1400 wird zwischen Turm und Chor die Notgottes-Kapelle als Sühnekapelle gebaut (Beschreibung siehe unten).

Um 1400  werden dem Turm 4 Holzgiebel mit je einem Paar Rundbogenfensteraufgesetzt, danach der hohe, spitze Turmhelm. Aus gleicher Zeit etwa stammt die Sakristei.

1440 wird die zweite Glocke gegossen.

1451 erwähnt eine Verkaufsurkunde den „Baumeister an der Pfarrkirche“.

1485 wird die dritte Glocke gegossen.

Um 1500 wird der Chorschluss gebaut, mit rein spätgotischen Fenstern.

17. Jhd.  -  Die Kirche übersteht die großen Feuersbrünste in der Stadt: das Feuer in 1634, die Plünderung in 1647, das Feuer in 1717.

1654    Erste Orgel von Heinrich Wagner aus Lich.

Die Schäden an dem Bauwerk sind so spürbar geworden, dass man dem Gewölbedruck auf Säulen und Mauern durch das Einziehen von Klammern beizukommen versucht.

Um 1690 findet man davon einige, als man dicke Stützmauern an der Südseite und an der Eingangsseite errichtet. Die Turmseite und die Nordseite bleiben ungeschützt.

1860  Ist die Kirche so baufällig, das die durch Ausbessern nicht mehr zu erhalten ist.

1864  wird sie geschlossen,

1886  abgebrochen. Turm, Notgottes-Kapelle und Sakristei bleiben erhalten.

 Der Chor, den man retten will, stürzt ein.

1888 legt man den Grundstein für die neue Stadtkirche.

1891 am 25. November wird sie eingeweiht.

1952 werden die „Gefallenenglocke“ und die „Vater-Unser-Glocke“ gegossen.

1958 und 1978 wird die Kirche renoviert.

1979 an Weihnachten wird die neue Orgel, gebaut von Orgelbauer Friedrich Weigle aus Leinfelden-Echterdingen, zum ersten Mal gespielt.

 

Ein Gang um die Kirche

Die Stadtkirche beherrscht das Stadtbild. Dabei ist sie schlicht und unaufdringlich, benachbart dem Fachwerkbau des Pfarrhauses (1717), dem alten Rathaus und dem ältesten Wohnhaus, Bei der Kirche 8. Sie ist harmonisch dem Siedlungsbild der Oberstadt eingegliedert. Der neugotische Bau ist in Maßen, Konstruktion und Baustil der alten Johanneskirche nachgebildet, von der sie Tür- und Fensterrahmen und einige Schmuckelemente übernommen hat. Von der Johanneskirche erhalten ist der Turm mit seinem romanischen Bogenfries, mit schmalen hohen Fensterpaaren, die in 3 Stockwerken mit Rund- und Spitzbögen abwechseln. Drüber liegen die 4 Holzgiebel mit je einem Paar Rundbogenfenster als Schallöffnungen. Das obere Drittel des Turmhelms erwächst aus dem Rund kleinerer Giebel, welche die feingliedrige Turmspitze tragen.

Das Geläut besteht aus 4 Glocken; die älteste ist die „Neun-Uhr-Glocke“ von 1250. Die größte (Durchmesser 118 cm) wurde 1485 in Gießen, die „Gefallenenglocke“ und „Vater-Unser-Glocke“ 1952 in Bockenem (Hannover) gegossen. Diese beiden tragen die Inschriften:

„Friede auf Erden! Zur Ehre Gottes sollen unsere Glocken klingen und zum Gedächtnis der Gefallenen singen.“

„Nach Krieg und Leid und harter Zeit ruf ich erneut zur Seligkeit. O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort.“

Von der alten Johanneskirche erhalten ist die Notgottes-Kapelle, von außen ein schlichter Viereckbau, an der Nordseite zwischen Turm und Chor. An der Außenseite ist ein stark verwittertes Sandsteinrelief eingemauert: unter 3 Spitzgiebeln eine menschliche Figur, in der Pfarrer Dr. Failing den Heiligen Stephanus erkannte, Pfleger der Armen und des Kirchengutes.

Die alte Sakristei an der Südseite entspricht in der Form der Notgottes-Kapelle. Sie wurde mit Diabas umkleidet und behielt die gotischen Fenster- und Türrahmen.

 

Ein Gang durch die Kirche

Der Raum wirkt durch seine wohltuende Helle, die Zurückhaltung im Farbigen, die Harmonie von Formen und Linien. Der einzige Schmuck des Schiffes ist ein Spruchband aus Bibelversen mit enggesetzten gotischen Schriftzeichen; das Spruchband umläuft die unteren Balken der ganzen Empore. Die Schriftstellen sind: Südseite Joh. 10, 27-28, und Eph. 2, 19.20, Nordseite Joh. 17, 20-21 und Eph. 4, 4-6, über dem Hauptportal Kol. 3, 16-17. Die eindrucksvolle Schlichtheit ist der Renovierung von 1958 zu verdanken. Sie wurde mit sicherem Feingefühl für Stil und Würde des Gotteshauses unter Pfarrer Baumgart ausgeführt, die Schrift gestaltete Malermeister Rudibert Halver.

Vom Haupteingang wird der Blick durch das Kirchenschiff auf das große Kruzifix gelenkt, das zwischen Altar und Chorfenstern steht. Es stammt aus der Zeit um 1600 und zeigt den Gekreuzigten mit dem Ausdruck „Es ist vollbracht“.

Rechts vom Aufgang zum Chor steht die Kanzel,  1890 neu gearbeitet. Die alte Kanzel, eine Renaissancearbeit des 17. Jahrhunderts, wurde beim Neubau der Kirche nach Frankfurt verkauft.

Vor den Stufen zum Chor steht das Taufbecken,  ein kleines Steinbecken auf massivem Ständer mit der Inschrift: „1682 ist Johann Hermann Dör Hospitamensus gewesen“. Es stammt also aus dem Bereich des Hospitals. Ein Überrest des alten Taufbeckens im Übergangsstil romanisch – gotisch, wohl das älteste Denkmal aus der Johanneskirche, steht links vom Eingang zum Pfarrhaus auf dem Kirchhof als große Blumenschale. Erhalten ist der Trog mit einem Rundbogenfries unter dem oberen Rand. Vom Rand springen die glatten Kelchkapitelle von 6 Säulen vor, die selbst verschwunden sind. Von ihren Basen (=Grundsteinen) befinden sich 3 im Pfarrgarten.

Die sieben Grabplatten halten das Andenken an angesehene, frühere Bürger Biedenkopfs – Pfarrer, Rentmeister und deren Familien – wach und dokumentieren damit auch ein Stück Stadtgeschichte.

Die erste Grabplatte befindet sich an der linken Endwand des Kirchenschiffes am Aufgang zum Chor. Die zweite und dritte sind an der linken Chorwand angebracht, und zwar rechts und links vom Eingang zur Notgottes-Kapelle. Die vier letzten sind jeweils unter einem Chorfenster in das Mauerwerk eingelassen. Die sechs im Chor befindlichen Grabplatten stammen von Beisetzungen im Chor.

Den Grabplatten gemeinsam ist ihr Aufbau. Auf breitem Rand, links oben beginnend, sind Daten und Namen angegeben. Im Mittelfeld der vier unter den Chorfenstern befindlichen ist das Textwort der Leichenpredigt nachzulesen. Die Platte am Aufgang zum Chor, wie auch die links neben dem Eingang zur Notgotteskapelle sind Bronzeplatten, wohingegen die anderen fünf Tafeln aus Sandstein bestehen.

Die erste , eine spätgotische Platte, bedeckte früher das Grab eines der letzten katholischen Geistlichen Biedenkopfs, des Pfarrers HILTWIN BUDICKER (= Böttcher). In der Mitte ist er selbst im Messgewand in Lebensgröße dargestellt. Die vier Ecken des Rahmens zieren die Insignien der vier Evangelisten (Mensch – Matthäus, Adler – Johannes, Ochse – Lukas, Löwe – Markus). Die umlaufende Inschrift des Rahmens nennt Name und Verdienste des Pfarrers, sowie seine Stiftungen für die Kirche und die Stadt. In der Mitte des unteren Rahmenteils ist sein Wappen eingegossen, zwei gekreuzte Hämmer (Böttcher-Knüppel). Gestorben ist Hiltwin Budicker am 24.2.1520.

Die zweite  Platte hält die Erinnerung an den ersten evangelischen Pfarrer, Herrn GERLACH WALTHER, einen Verwandten Hiltwin Budickers, wach, der im Jahre 1526 seine seelsorgerische Tätigkeit in Biedenkopf begann. Diese Gedenkplatte wurde von seinem Sohn Theophil gestiftet und nennt uns außer dem Sterbedatum des Vaters (17.12.1578) auch das der Mutter (17.6.1574). Im unteren Teil stehen links fünf Männer, wahrscheinlich Vater und vier Söhne und rechts zehn Frauen, wohl die Mutter und neun Töchter, alle in Trauerkleidung. Auch hier sind die gekreuzten Hämmer, das Wappen der Walthers, zu sehen.

Die dritte  Grabplatte zeigt ein Wickelkind namens MARIA HEDWIG ZIESLER. Sie war die Tochter des Schultheis Johannes Ziesler und ist am 1.11.1656 geboren und getauft worden. Nach 26 Tagen, am 26.11.1656, ist das Kind gestorben. Unter dem Bild des Kindes sind zwei bürgerliche Wappen zu sehen, und zwar links ein Herz, aus dem drei Blumen wachsen, und rechts eine Kanne.

Die vierte  Platte ist der Mutter des Kindes gewidmet, der Frau ANNA KATHARINA ZIESLER. Sie starb am 20.10.1657 im Alter von 40 Jahren. In der Mitte ist sie selbst als Brustbild mit gefalteten Händen dargestellt. Darunter ist aus dem Brief des Paulus an die Philipper der 20. Vers aus dem 3. Kapitel nachzulesen. auch hier befindet sich das Wappen der Zieslers, von dem auf beiden Seiten als Rahmen für den Text ein barockes Ornament ausgeht.

Die fünfte  Platte ist Frau HEDWIG RULIN; gestorben am 3.12.1639, gewidmet. Frau Rulin war die Frau des Hans Peter Bruhn (=Braun). Der Predigttext ist dem 19. Kapitel des Buches Hiob entnommen.

Die sechste  Grabplatte zeigt das Brustbild von Frau ANNA ELISABETH PISTORIN mit hochgeschlossenem Kleid und Haube. Vom Sterbedatum ist nur noch der 30.12. zu erkennen. Frau Pistorin war die Ehefrau des Rentmeisters Wilhelm Walther. Unter dem Bild ist der Text aus Jesaja 56 und Weisheit 3 zu lesen. Darunter ist das Walthersche Wappen zu sehen, diesmal mit einem Zirkel schräg über den gekreuzten Hämmern, und das Wappen der Pistors, ein Mensch auf den Flügeln eines Vogels sitzend. Der Text ist auf der Längsseite von barocken Motiven, Ranken und Schnecken eingerahmt.

Die siebte  Platte lag über dem Grab des Rentmeisters MICHAELIS PFEFFER, der am 3.12.1615 gestorben ist. Sie wurde von seinem Sohn Henrich Pfeffer gelegt. Auf dieser Platte sind auch noch die Sterbedaten dreier Kinder des Henrich Pfeffer enthalten. Johannes Henrich Pfeffer stark am Pfingsttag des Jahres 1620 im Alter von 2 Jahren. Sein 4jähriger Bruder Jost Henrich verstarb am selben Pfingstmontag. Das jüngste Kind der Familie, der 28 Wochen alte Werner Pfeffer, ist am 4ten Montag nach Pfingsten des selben Jahres (1620) gestorben. Unter diesen Sterbedaten ist der Predigttext aus Weisheit 4 verewigt.

Notgotteskapelle

Links vom Chorraum befindet sich die Notgotteskapelle, ein Kleinod der Kirche. Im Stil spätgotisch, hell in unaufdringlichem Farbton gestaltet. Zwei Joche aus Sandstein überspannen in Kreuzrippen das Gewölbe. Die Schlusssteine des Gewölbes tragen das Wappen derer von Breidenbach. Heute ist die Kapelle eine Gedenkstätte für die Gefallenen der beiden Weltkriege. Vier eiserne Tafeln – gegossen nach einem Entwurf von Ludwig Blöcher 1921 – tragen die Namen der Gefallenen des 1. Weltkrieges. Ein in Leinen gebundenes Buch erinnert auf einzelnen Blättern – in Kunstschrift von Annemarie Wilken geschrieben – an die Gefallenen des 2. Weltkrieges.

Sakristei

Rechts vom Chorraum befindet sich die Sakristei. Sie ist mit der Notgotteskapelle gleichaltrig. Zwei Gewölbestützen sind als ausdrucksvolle Männerköpfe geformt. Die dritte Gewölbestütze ist mit Blumen und Blattranken geschmückt. Über der Tür zum Chor hängt ein Kruzifix aus Akazienholz (von Werner Klinkenberg 1951-1953). Ein „Auge Gottes“ aus dem Prospekt der Schlottmann-Orgel (1794) ist ebenfalls in der Sakristei aufbewahrt.

 

II. Führung durch die HOSPITALKIRCHE

Zur Baugeschichte

9.5.1417  gab Landgraf Ludwig I. seine Einwilligung zum Bau des Hospitals und der Hospitalkirche in Biedenkopf. Die Stifter waren Gerlach von Breidenbach und der Mann seiner Stieftochter, Hermann von Löwenstein in Schweinsberg.

1617                      wurde der Chor zum jetzigen Schiff ausgebaut.

1817                      musste das Hospital einer neuen Straße weichen. Die Kapelle blieb erhalten.

Ab 1866                diente sie als Gotteshaus für die ev. Kirchengemeinde Biedenkopf.

30.11.1974            fand die Wiedereinweihung der restaurierten Kirche statt.

2000                      Umfassende Sanierung und Renovierung (vom neuen Wetterhahn bis

                  hin zu neuer Bestuhlung, neuer Eingangstreppe etc.)

10.06.2001            wurde die Kirche offiziell wieder eröffnet

Bei der Renovierung 1974 kamen alte zugemauerte Türen und Fenster zutage, die unterschiedlich hoch angeordnet waren und damit den Schluss zuließen, dass sie zu verschiedenen Stockwerken, also anfangs nicht zu einem einzigen Kirchenraum gehörten. Deren Lage ist heute im Außenputz gekennzeichnet.

Die Restaurierung betont die Gotik des Baus mit der gleichen Stilsicherheit wie bei der Stadtkirche.

Der Chor der Elisabethkirche in Marburg diente als Vorbild für den Chor der Hospitalkirche. Sein Gewölbe besteht aus drei rechteckigen, schmalen Jochen. Die sechs Spitzbogenfenster sind mit spätgotischem Rankenornament versehen. Der Chor schließt ab mit einem kräftigen Sandsteinspitzbogen am Übergang zum Schiff.

Die während der Renovierung neu hervorgehobenen Malereien auf den hellen Feldern der Chorwand sind Renaissancearbeiten.

Die kräftig herausgearbeiteten Skulpturen unterstützen die Lebendigkeit des Chorraumes.

Am Übergang vom Schiff zum Chor steht links an der Nordostseite unter einem Baldachin der Verkündigungsengel Gabriel; auf dem Band, das von einer Schulter zu den Füßen fällt, steht der Gruß: „AVE GRATIA PLENA DNS. TECU“ (=AVE GRATIA PLENE DOMINUS TECUM = Gegrüßet seist du Gnadenreiche, der Herr sei mit dir). Das Kapitell, auf dem Gabriel steht, zeigt auf der Vorderseite das Breidenbach’sche Wappen, das doppelte Wolfseisen. Die Gesichter links und rechts auf den Pfeilerköpfen sind wohl die zweier Stifterfiguren. Die Kapitelle des Chorschlusses zeigen die Wappen der Stifter, das der von Breidenbach, von Biedenfeld, von Brendel zu Homberg und von Löwenstein.

Die Kanzel ist ein wertvolles Stück alter heimischer Handwerkerkunst der Renaissancezeit. „Predige, alles Fleisch ist wie Haew und alle Seite Güte wie eine Blume auf dem Felde. Jes. 40 Cap.“ lautet die Inschrift unter dem oberen Rand.

Die Orgel wurde im Rahmen der Restaurierung im April 1974 eingebaut.